Prater Wien Ralf Dzioblowski Erfolgreichkopiert Vom legendären Münchner Oktoberfest gibtesweltweit rund 3.000 Blaupausen. G'suffa'verheißt Spaßvon Kanada bis Jamaika. Touristen werden aber nichtnurin Bierzelte,sondern auch in das Paris des Ostens' gelockt. FAKTUM entführt Sie auf eine skurrile Reise. TEXT: Ralf Dzioblowski Nein,das ist kein absurdes Theaterstückvon Samuel Beckett oder Eugene Ionesco: Im Reisebüro antw
[MEHR]ortet ein Paar auf die Frage, wohinesgehen soll: Zum Oktoberfest in das Havanna Galiziens. ' Bitte?' piepst Kundenberaterin Jessica (22) überden Counter und katapultiert ihreangeklebten Wimpern auf der Überholspuran Felix Bau mgartner vorbei. Kennen wir nicht alle denzugegeben nicht ganz frischen Kalauer: Bitte bringen Sie mir einen anderen Globus. Hierwarich schon überall.' Gutmensch Bonovon U2 sangdereinst Even better than the real Thing'. Soganz unrecht hat der laufende Meter ja nicht. Ob Hallsteinin China, Venedig und Pyramiden in Las Vegas (der meist besuchten Stadt der Welt) oder Neuschwanstein in Orlando: Historie und Topografie sind Das Original istaus München: auch in Wien wird fest gefeiert Oktoberfestlängst ausgetrickst,unser Erlebenes grüßen die Pixar Studiosist zum Disney Film geworden. Semantischer Etikettenschwindelkopuliert offensichtlich mit touristischem Paradigmenwechsel: Es klingtviel besser (undvorallem wärmer),im Venedig des Nordens'zulogieren als kalt und trüb im nebligen Stockholm. Wikipedia führt gleichneun (!) Städte auf, die sich mit diesem Attribut freiwillig oder unfreiwillig schmücken': Amsterdam, Brügge, Berlin, Duisburg, Hamburg, Kopenhagen, Papenburg, Sankt Petersburg und Stockholm. Den Titel Florenz des Nordens' machen sich Krakau und das Elbflorenz' Dresdenstreitig. Auch die Toskanamussfür Vergleiche herhalten, seies die Steirische oder die Pfalz. Spitze ist der Begriff Paris des Ostens'. Diesen Spitznamen' reklamieren gleich Hundertschaften für sich. Ein Auszugausder Google Liste: Prag, Budapest, Bukarest, Warschau, Odessa, Beirut, Tiflis, Ho Chi Minh Stadt ( Saigon), Shanghai. Man glaubteskaum, aberselbst Sibirien hat sein eigenes Paris.lrkutsk wirdwegen seiner vielen Museen, Theater und Jugendstil Restaurants so genannt. Während jährlich rund 18 Millionen Menschen in den Vatikan pilgern,verschweigen sie den Schäfchen die Wahrheit des sündigen Kirchenstaats: Nirgendwo auf der Welt ist die Kriminalitätsratesohoch wie dort. Die Justiz des Kirchenstaates befasste sich2011 mit 1.126 Zivil und 171 Strafverfahren, obwohl der Vatikannur492 Einwohner hat. Zwar handeltessich meistum Handtaschendiebstähle, aber, malganz ehrlich: haben Siein einem Prospektzu einer Butterfahrtzum Papst schon einmal gelesen: Die Bronx Roms'? Eben. Original "quot; Kopien Nehmen wir ein anderes Phänomenin Augenschein: Das Oktoberfest,also jene Belustigung, bei der sicherwachsene Menschen freiwilligvon Stimmungskanonen wie den Wildecker Herzbuben, Jürgen Drews oder Roberto Blanco foltern lassen. Die VViesn' ist kein AOCgeschütztes Terroir, kein Gemischter Satz',sondern ein Fortsatz, der mittlerweileweltweit über 3.000 Mal in über 100 Ländern (am häufigsten in den USA)sagen wir adaptiert' wird. Oftkopiert, aber nie erreicht. Dass es die Original Wiesnnur in München gibt, ist selbstredend. Wieesbei erfolgreichen Phänomenensoistsie werden kopiert. Die bayeri Prater Wien Ralf Dzioblowski sche Wiesn Dreifaltigkeitvon Bier, Brezn und Blasmusik ist mit sechs Millionen Besuchern, 450 Millionen Umsatz, 500.000 Hendl und 6,6 Millionen Maß nichtnur ein Publikumsmagnet, sondern auch ein echter Exportschlager, der auch andernorts Hundertausende anziehtauchwenndie örtliche Gepflogenheitstark vom Original abweicht. In keinem Fall seien die Feste Konkurrenz, da müssemansich nichtfürchten, sagt die Münchener VViesn Chefin Gabriele VVeishäupl. Sie seienvielmehr Werbung für das Original: Sie tragen den Namen um die Welt.'95 Prozent der Weltbevölkerung kennennach Angaben der VViesn Chefinden Ausdruck Oktoberfest'. Vonder Sehnsucht nach Heimat in der Ferne profitieren auch die Reiseveranstalter. Oktoberfest in einem türkischen oder ägyptischen Club? Wemesgefällt... Die Botanik wird nebensächlich, Hauptsache Gaudi. Städteund Event Agenturen wollenvonder Bierseligkeit profitieren. Von 2009 bis2012 erhöhte sich jedenfalls die Zahlder Ausrichter' rasant von 2.000auf 3.000. Den Münchener Oktoberfest Organisatoren kann's recht sein,verstärkt der schunkelnde Zuspruchdoch den Wunsch bei vielen nachdem gelungenen Vorgeschmackauch einmal das Original in Münchenaufzusuchen. Außerdem stoßen die Münchener Brauereien in neue Märkte vor, denn wer als Oktoberfest Ableger etwas auf sich hält, hält zumindest beim Bier und bei der Tracht anden Münchener Originalen fest. Auch in Afrika werden im europäischen Herbst Lederhose und Dirndlausdem Schrank geholt,umdas Oktoberfestzufeiern, beispielsweise in VVindhoek. Der 900 Mitglieder zählende Sport Club Windhoek, ein Verein der im Lande lebenden Deutschnamibier, freut sich über 1.400 Besucherpro Jahr, die 2.200 Liter Bier konsumieren. Die wahrscheinlich kleinste Wiesn' wird seit 2010 in der 68 Seelen Gemeinde Jundah im australischen Outbackvon Queensland gefeiert. In Jakarta schunkeln Christen, Hindiund Muslime gemeinsam bis das Bierschäumt. Gerne darf der Jamaikaner inkrachledernem Gewand bei 36 Gradim Schatten eine Salsa, der Brasilianereine Samba tanzen und der Chinese INTERVIEW MIT FREIZEITFORSCHER PROF. PETER ZELLMANNFAKTUM: Herr Professor,wassteckt hinter dem inflationären Oktoberfest' Feiern? Zellmann: Grundsätzlichist es der Trittbrett Fahrer Effekt'. Im Tourismusistesbesonders deutlichzubeobachten, dassmansich,wenn etwas ankommt bzw. angenommenwird, anhängt. Unddieser Nachahm Effekt funktioniertzwar meistensnicht, in Ausnahmefällen aber schon. Wennman etwajemanden hernimmt, der das Oktoberfest in Wien besucht und deswegennicht aufs Oktoberfest nach München fährt: der hat quasi in Wienin ähnlichem Ambiente seine Gaudi. FAKTUM: Es ist aber nur ähnlich',also nicht das Original. Zellmann: Wer das Original schätzt,wird vermutlich kaum zur Kopiegreifen. Das Oktoberfest ist da einepositive Ausnahme. So wie es ja beispielsweise einen Kirtag auch überallgibt:eristankeinen Ort gebundenund nichts spricht dagegen, dassmanihn irgendwo ähnlich oder nachdem gleichen Muster veranstaltet. Niemand wird in diesem Fall sagen:das Original liegt aber woandersund daher ist die Kopie schlecht. Esist themenabhängig. FAKTUM: Was ist der Antrieb der Nachahmer? Zellmann: Eine nur bedingt positive Maßnahme oder Idee im Tourismus ist die Best Practice' Hysterie. Wenn es ein Best Practice Beispiel gibt, dann stehen dahintermeist Berater Interessen, die dasdeswegen vorstellen, damit sie esbewusst nochmal kopieren und einenanderen Betriebzu einem Auftrag veranlassen können. Die Wahrheit ist:wenn man Best Practice zuoft kopiert, istesnicht mehr best',sondern allgemein. FAKTUM: Schaden die Kopien nichtauch dem Original? Zellmann: Zuerst fertigen wir Best Practice Kopien an, dann ist der Markt wieder vereinheitlicht. Unddann erst fällt vielen auf: Hoppla,das ist ja ein Einheitsbrei. Jetzt müssen wir wiederein Alleinstellungsmerkmalentwickeln.' Insofern hat die Idee der Kopie vom Oktoberfestzwar eine gewisse Logikin sich, aber eben genaujenen Mitnahme Effekt14dass Kopien einfach zu Einheitsbrei führen. FAKTUM: Stichwort Kulturals Exportgut: Hallstein in China, Venedig in Las Vegas. Ist der gesamte Globus schon Disneyland? Zellmann: Das ist etwas anderes. Das ist weder mit dem Oktoberfest im Wiener Prater noch mit der Nachahmung eines Best Practice Hotels vergleichbar. Vielmehr handeltessichum eine Volkskultur Idee, die niemand vor Ort kopiert,sondern die imitiert wird. Wenn ichein Kulturgut an das örtliche Umfeldbinde, dann mag der Kulturpessimistsagen: Das ist furchtbardas Original ist doch etwas ganz anderes.' Aberesgibt Menschen, die nie die Gelegenheit erhalten das Originalkennenzulernen, die Möglichkeit, esim eigenen Land kennenzulernen. Das würde ich ganz anders einordnen. Es handelt sich meiner Ansichtnach wenigerum eine Kopiealsumeine Imitation, die an dieÖrtlichkeitangepasst ist. FAKTUM: Gleich neun Städte führt Wikipedia als Venedig des Nordens' auf. Und die Toskana liegtplötzlich in der Südsteiermark. Warumgibtmansich solche Attribute? Zellmann: Warum stoßen Sie sichdaran? Das ist ein Mitnahme Effektund ein Trittbrett Fahrer. Der informierte Konsument weiß, dass dieitalienische Toskana das Original ist. Aberwarumsollen die Südsteirernichtsagen,dass sie etwas Ähnliches bieten? Man hängt sich im erlaubten, nicht dem Urheberrecht widersprechenden Maße an das große Vorbildan. Neben der Kopie gibt esauch die Vorbild Wirkung: da ist etwassehr schön. Das hat etwas voneiner Metapher. FAKTUM: Vielen Dank für das Gespräch.