Wiener Zeitung 15.11.2013 Prater Wien Thomas Trescher Robert Karo Kaldy erinnert im Circus und Clownmuseumaneine aussterbende Kultur der Unterhaltung Von der Manege ins Museum Von Thomas Trescher Was Kindervonder behaarten Fraueher lernen alsvom Computer. Wien. Als Julia Pastrana 1858zum ersten Mal die Manege des Circus Renz im Prater betrat,wardie am ganzen Körper behaarte Frau eine Sensation. 26 Jahre später kehrte
[MEHR]sie zurück, als Leiche,ausgestopft wie ein Tier, ausgestellt in einem Schaukasten. Eswar ihr Ehemann, der sie nach ihrem Tod präparieren ließ und wieder auf Tour schickte. Pastranastarb kurz nach der Geburt ihres Kindes, das genauso wenig überlebte. Das Totgeborenewurdeebenfalls mumifiziert und nebenihr auf eine Stange gesetzt. Es sah ein wenig aus, als würde da ein Papagei neben ihr sitzen;sie war außerdem schon fast zerfallen. Ein grauenhaftes Bild', sagt Robert Karo Kaldy. Er ist der Leiterdes Clown und Circusmuseums.40 Bücher hat er zur Geschichtevon Zirkus und Unterhaltungskunst geschrieben, Ende November erscheint das nächste, über Anton Kratky Baschik, einen Zauberkünstler, der 1873 das damalsgrößte Zaubertheater Wiens mitmehr als 1000 Sitzplätzen eröffnete. Damals erblühte die Unterhaltungskunst in Wien. Ihre Hochzeithatte sie zwischen 1890 und 1930rundumden Prater. Ganz in der Nähe,am Ilgplatz,ist seit 2011 auch das Circus und Clownmuseumangesiedelt. Gegründet wurde das einzige Museum Europas in öffentlichem Eigentum, das sich mit Unterhaltungskunst beschäftigt,bereits1927;seit 2005 leitetes Karo Kaldyehrenamtlich, wie alle Mitarbeiter. Der 62 Jährige mit den buschigen Augenbrauen und dem roten, mit Ornamenten verzierten Hut arbeitete als Hauptbrandmeister bei der Feuerwehr und als Magier. Jetztwidmet er dem Museum seinemeiste Zeit. Wir haben 3000 Euro Jahresbudgetdamit müssen wirvom Putzen über Reparaturen alles bezahlen', sagt er. Die meisten Ausstellungsstückegehennochauf den Bestand des Gründers Hanno Seitler zurück, der Restsindmeist Schenkungenvon Künstlernvon Clownkostümenbis hin zu einem ausgestopften Leoparden und der Kugel, auf der ereinst balancierte. Karo Kaldy verwaltet die Erinnerung an eine aussterbende Kultur. Heute vom Zaubern oder Jonglieren zu leben ist sehr schwer. Der Nachwuchs wird immer weniger, esgibt auch kaum noch Auftrittsmöglichkeiten', erzählter. Essei kein Wunder, dass der Zirkusnun ausgestellt und kaum mehraufgeführt wird: Das Interesse istnicht mehr so da, die Kultur wirdins Museum verdrängt.' Gruselfaktor Clown Der Niedergang des Zirkus begannmit dem Siegeszug des Fernsehens, aber noch heute erinnern TVShows wie Die große Chance'andas Konzept des Zirkus. Allerdings: Dort sind ja auch zu 80 Prozent Sänger, weil sie keine Artisten mehr finden. Und die Artisten, die ich kenne, würden nie zurgroßen Chance gehen, diesagen:, Wieso soll ich mich dort lächerlichmachen?' Auch Karo Kaldy selbst zaubertkaum noch, er hat sich auf die Forschungverlegt. Die Unterhaltungskunst ist in Österreich einwissenschaftlich wenig beachtetes Thema gewesen. Man hat eigentlich nur Hochkultur gesammelt. Das,woransich das Volk begeistert hat, galt als vulgär und nichtinteressant', sagt Karo Kaldy. Mitdem Museum versucht er, beide Ansprüche zu vereinen: Zirkus, Variete' und Verwandtes wissenschaftlich aufzuarbeiten und die Besucher damit zu unterhalten. Der Clown etwa, fixer Bestandteiljedes Zirkus und damit auch des Museums, sei auf William Shakespearezurückzuverfolgen, erzählter: Er hat bei seinen Stücken zwischendurch immer zwei, drei komische Gesellen auftreten lassen,das waren eigentlich Totengeister. Deshalb hat der Clown ein weißes Gesicht. Seine Haarbüschel stehenfür das Fegefeuer und seine Tölpelhaftigkeit kommt daher, dassman das Böse gerne als tollpatschig hingestellt hatdamit maneseben übertölpeln kann.' Dass sich viele Menschen vor Clowns gruseln, ist so gesehen also kein Zufall. Dazu kommt nochdas Laute, und dass Clowns keinen Abstand wahren', erklärt Karo Kaldy. Vielmehrmuss er aber seinen Besuchernundvorallemden jüngeren unter ihnendie Angstvordem Museumansichnehmen. Die Bezirksmuseen,zudenen auch das Circusmuseumgehört, habenessichzur Aufgabegemacht, Kinderausbildungsfernen Schichten für das Museumzuinteressieren', sagt er. Wir sinddafür natürlich besonders prädestiniert und haben im Jahr 120 bis130 Führungen mit Kindergartenkindern.' Sie sollen im Museum abernichtnurschauen, sondern beispielsweise selbst jonglieren lernen. Auch das ist ein Versuch, sichgegenden Zeitgeistzustellen: Mir geht es ein wenig darum, gewisse Werte zu vermitteln, dassman sich auch selbstbeschäftigenkann und nicht, dassman nur passiv am Computer sitzen muss.' Wiener Zeitung 15.11.2013 Prater Wien Thomas Trescher Robert Karo Kaldy in seinem magischen Reich. Foto: Lulu Puiti