Süddeutsche Zeitung 29.08.2014 Prater Wien Wolfgang Luef 29.08.2014 für Prater Wien Gmb H und Wiener Praterverband zum eigenen Gebrauch nach §42a Urh G. » ICH HABNirgendwo wirdlustiger gestorbenals in den Krimis des Osterrcichers Wolfilaas. Nun erscheintder achte Fall des Detativs Brenner. Ein Gesprach PRA Lind Humor INTERVIEW: WOLFGANG LUEF UNDLORENZ WAGNERFOTOS: PAUL KR ANZLERZURSZMagazin: Herr Haas, wie stel
[MEHR]len Siesich Ihren Tod vor? Wolf Haas: Ich gehiire cherzuden Leuten,die sich vornehmen, altzuwerdenund sich langsamzuverabschieden. Gemildich. Einzel oder Doppelgrab? Unbedingt Einzelgrab! Well das ruhiger 1st? Nein. Ohm: nachzudenken,warjetztvormir einfach dieses Bild: ein Einzelgrab. Urne oder Sarg? Sarg. Aber ich kann mich jetzt geradenicht mehr konzentrieren. lchmuss andiese Nummer vom Josef Hader den ken: Ersagt, erflirchtet sich nicht davor,tot insein,nurdavor, dassesdaunten so kaltist. I hnstores, dass die nicht defer graben,wo esschon wiederwarmwird. Was wird auf dem Grabsteinvon Wolf Haas stehen? Alfred Hitchcock hat einmal vorgeschlagen: ' Das passiert mit kleinen Jungs,wennsic b Ose sind. Das ge Cillt mir. Wir haben jungst eine Todesanzeigegelesen, in deres hiet3: DErst viel Humor,dann viel Tumor,. Das wiederum finde ich abscheulich. Mich erinnert das daran. dassesoft heilk, Scheitern sei eigentlich auch ein Erfolg. Nein. Ich mochte gescheitert sein, ohnedas umzudeuten. Undgenausoistes mit EINETENDENZPANIK«dem Tod. Man sollte ihm gefalligst seine Traurigkeit lassen. Dabei wird doch in Ihren Buchern humorvolt gestorben. Einmal gerat emn Verbrecher in die Rotoren eines Hubschraubers, und der Wind tragt den abgeschlagenen Kopf in emn benachbartes Kinderschwimmbecken. Es ist keine Absichtvon mir,den .lbdlustig abzuhandeln. Der Flug des Kopfcswareigentlichemntechnokratischer Entschluss: Ich wollte eine Luftaufnahmeini Roman haben. Aus den Augcn desfliegenden Kopfes konnte ich den Parkvonoben zeigen. Und die Knochenmehlmaschine, in dieder Eigentumer einer Backhendlstationseine Opfer steckt? Ich woll te in dem Roman eine akustische Ebene einfiihren: lin Kellerrattert die Knochenmehlmaschine,diemanliberal!im Gasthaus hiirt. In wenigen Tagen erscheint Ihr Krimi Brennerova. Darin werden zwei Menschen die Hande abgehackt. Fastpassiert in der Klinik eine Verwechslung,namlich dass die Arzte die Handean denfalschen Korper nahen. Daran hat mir gefallen, dasses em Korn mentar zum Thema Schriftwar. Nuranden tatowierten Schriftzeichen wirdder !mum erkannt. Süddeutsche Zeitung 29.08.2014 Prater Wien Wolfgang Luef 29.08.2014 für Prater Wien Gmb H und Wiener Praterverband zum eigenen Gebrauch nach §42a Urh G. Das Schreck.%liche ist bei ihmein Mittel zum Zweck: Wolf Haas vor einer Geisterbahn im%414.' Wiener Prater. y, Süddeutsche Zeitung 29.08.2014 Prater Wien Wolfgang Luef 29.08.2014 für Prater Wien Gmb H und Wiener Praterverband zum eigenen Gebrauch nach §42a Urh G. Das Schreckliche ist bei Ihnen ein Mittelzum Zweck? Ichnutze es, um Spannungzu erzeugen. Es ist nie so, dass ich mich hinsetze undsage: Jetzt brauche ich noch einen originellen Todesfall. Es ist fast immerso,dassich ein Problem lösen muss. Im Roman Komm,siißer Tod gibteseinen Rettungsfahrer, der heißt Groß. In der Urversiondes Romans hatergelebt biszum Schluss. Aber dann fiel mir dieser Dialog ein:» Der Tod ist groß.«» Der Groß ist tot.« Das fand ichsolustig, dass ich dengesamten Romanumkonstruiert habe,nurdamit ich den sterben lassen kann. Wie stirbt denn der Groß? Erschossen. Oder Moment, nein, mit demeigenen Goldkettchen erwürgt! Ist es ein Wunder, dass man den Wienerneine gewisse Lust am makabren Humornachsagt? Ach, ich weiß nicht. Ich bin janicht in Wien aufgewachsen,sondern in einem Dorf in Salzburg. Sie mögen das Thema nicht? Manche Klischees sind so festbetoniert. Da wehre ich mich. Aber vielleicht wehre ich michsosehr dagegen, dasso zu sehen, dass iches zuwenigsosehe. Wie meinen Sie das? Ich bin ja erst mit 30 Jahrennach Wien gekommen, vorherwarich eine Zeit in England. Ichbin alsoam Wiener Flughafengelandet und mit der SBahn indie Stadt gefahren. Und da fährtmangefühlte 20 Minutenam Zentralfriedhof vorbei. Daswarmeinerster Eindruckvon Wien. Mögen Sie Friedhöfe? Ich habe das ehrlich gesagtnoch nie erwähnt, weil ichimmer Angst hattevoreiner Psychologisierung, aber ich bindirekt gegenüber einem Friedhof aufgewachsen. Wenn ichdas Fenster meines Zimmersgeöffnet hab,warder Friedhof davor. Das nimmtmanals Kind nicht alsetwas Schlimmes wahr. Ichfinde Dorffriedhöfe schön. Die Witwenpflegen die Gräber, bringen Blumen... Invielen Dörfern gibt es am Friedhof mehr Leben als auf dem Dorfplatz. Außerdem WOLF HAASist einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Krimi Autoren. Seine Kriminalromaneum den Ermittler Simon Brenner verkaufensich millionenfach, viersind verfilmt worden. Zuvor arbeitete Haasals Werbetexter und Deutschlehrer. Der53 Jährige lebt in Wien.ist die Aussicht viel schöner, als wennmanein Haus davor hätte. Was war Ihre erste Erfahrung mit dem Tod? Als ich vier oder rünf Jahre alt war, ist unsere Nachbarin überfahren worden. Die Familie hatte gerade ihr Haus gebaut, ichhabe noch als Bild im Kopf, wie die Nachbarin da gearbeitet und gemalt hat. Undandem Tag,andem sie fertig gewordensind, sind allezusammenfeierngegangen,und dann ist sievoneinem Auto überfahrenworden. Es gibt ja dieses Sprichwort:» Wenn das Haus fertig ist, zieht der Todein.« Ich habe ein bisschen Skrupel, daszuerzählen, weil es die private Geschichteder Kinder dieser Frau ist. In einem Ihrer Liebesromane sind Sieein einziges Mal persönlich gewordenund haben über den Tod Ihres Vaters geschrieben. Das ist meine schönste Schreib Erinnerung. Humor ist ja beim Schreiben ein Trick, Distanz zuhalten. Bei dieser ernsten Passagehabe ich gemerkt, ich schaffeetwas, wasmir noch nie gelungenist: dass mir etwas wirklichnahegeht im Schreiben. Dassich die Kontrolle abgebe. Eswar,als würde ich mir einwarmes Bad einlassen. Ja,es warschön. Liebevoll. Haben Sie Angst vor dem Tod? Ich kenne dasvorallem als Angst um die anderen. Vielleicht ist das eh relativ verbreitet:die Angstvordem Tod meinergeliebten Menschen. Ichbinsoeiner, der selbst nichtaufpasst beim Überdie Straße Gehen, aberzuden anderensagt: Pass gutauf! Selbst findeich mich quasi eh unverwundbar. Dieses Gefühl der Unverwundbarkeit habe ich mir guterhalten. Siesindalsoeinmutiger Mensch? Dasistauch wieder falsch. Wenn man die Menschheit in50 ProzentÄngstliche und 50 Prozent Nichtängstliche teilen würde,gehörte ich wohlzuden Ängstlichen. Wovor haben Sie denn Angst? Ich hab eine Tendenz zur Panik. Vor Kurzem hab ich in einem Flugzeug er Süddeutsche Zeitung 29.08.2014 Prater Wien Wolfgang Luef 29.08.2014 für Prater Wien Gmb H und Wiener Praterverband zum eigenen Gebrauch nach §42a Urh G. lebt, dass sich die Tiiren nicht mehr offnenlic Ecn nach der Landung. Da sitztmandann eine Stunde lang Lindwartet. Ich kann nicht anders, als mir vorzustellen: Was 1st, wenn diese Tiir ilk wiederaufgeht? Panik habe ich manchmal auchbei Lesungen. Wenn es so dunkel ist, dassmandie Zuherer nicht sieht. lch wei E,dasitzen 1000 Leute, die zusam mengekommensind, damit ich ihnen etwas vorlesc. Und pliitzlich hab ich Angst, das Atmenzu vergessen,gleich umzufallen, und sagemir: Eine Seite noch, dann gehe ich raus. Aber nach dieser Seite geht es dannimmer wieder. Ihre Lesungen erinnern manchmal an Rockkonzerte: 3000 Zuhorer. 1st dasnicht einfach nur schon? Das 1st ein supergeiles Dominanzgefiihl:lch kann jetzt reden, die anderen mussenruhig sein, und ich wei E schon vorher, andieser oder jener Ste Ile wird es Gelachtergeben. Das 1st schon sehr befriedigend. Aber der Moment, in demmanplotzlichwieder sinnlos im Hotelzim iner sitzt, derist nicht schon. Weil man sich so aufgeblasen hat auf der Biihne. Und ich verstehe auch, dass Schauspieler Lind Popmusikcr, die das andauernd machen, sooftzu Trinkern oder Drogensiichtigenwerden. Sic trinken nicht? Ich bin cher cmn Fcind des AI kohols. Bisich 35%%la r,babe ich i.iberhaupt nichts getrunken. Heute bin ich em n normaler Konsument. Im Wiencrischen gibt es,wenn mansich volllaufen lasst, denschenen Begriff »sich umhackeno. Also:zuversuchenzu vergessen,indcmmantrinkt. Wenn ich dazu jemals neige, dann1stesin dieser Situation: im Hotelzimmernach den Lesungen. Drei Ihrer Romane sind verfilmt worden,bald kommt der vierte Film mit Josef Hader als Detektiv Brenner: Das ewige Leben. MOssen Sic beim Schreiben des Brenner mittlerweile an Hader denken? Ja, schon. Am Anfang hatteich nochmein cigenes Bild vom Brenner, wie eraussicht und so welter. Eine Zeit lang gabesdann zwei Brenner fur mich: den ausdem Film Lind denausdcm Buch. Mittlerwcile vcrmischt sich das ctwas. Abereigentlichist die Hauptfigur in den Buchern nicht der Brenner, sondern der Erzahler. Ohne ihn hattc ich keinen der Brenner Romane schreiben kiin nen.» IMWIENERISCHENGIBT BT ES, WENNMAN SICHVOLLLAUFENLASST, DENSCHONENBEGRIFF "quot;gt; SICHUMHACKEN"quot;lt;. WENN ICH DAZUJEMALS NEIGE, DANN IMHOTELLIMMERNACH DENL ESUNGEN« Mit falscher Grammatik oder Formulierungen wie ' Passauf jetzt. und ' Na wasglaubst du gibt der Erzahler den Krimiseinen eigenen Ton. Nur dadurch Lassen sich (hese haarstraubenden Gcschich ten Liberhaupt eaahlen. In einem ganz ernsten Krim icon wiirde ichmich dasgarnicht schreiben trauen. Vorzwanzig Jahren, als ich bcgonnen habe, hatdas vielevorden Kopf gestogen. Damalsgait Unterhaltung in der Literatur als etwasextrem Wises. Ich wollteausdieser Eckeraus. Humor ist daftir ein gutes Mittel. Welchen Humor finden Sic denn nungut?( Er macht eine lange Pause, itherlegt.) Wir haben gelesen, Sic mogen folgenden Schuttelreim:» Ein Leibesrieseging auf Liebesreise. Er sagte: Reib es, Liese,und sic rieb es leise. Ja! Der 1st aber leider nicht von mir.lchglaub, das ist Volksgut. In meinem Freundeskreis haben sich die Menschen, glaubeich, cher gewundcrt, class ich lustige Bucher schreibe.lch bin nicht so ein lustiger Kainpl. Aber das miichte man auch nichtsein. Es gibt nichts Oderes als Leute, dieeinem ununterbrochen Witze erzahlen. Und Ober welchen Witz konnten Sic wirklich mal lachen? Ich hab schr gelacht, als vor cm n paar Jahrender Deutsche Buchpreis verliehenwurde, da haben ja schon die Spatzenvonden Dachern gepriffen, class die Herta Muller ihn kriegen soil, viillig zu Recht,vie ich finde. Die hat dann abet den Nobelpreis bekommen. Man konnte i lir den Buchpreis nicht mehr geben. Dann hatden Preis ein Roman bekommen, der voneiner Gehirnblutung handelt. Das kammirsoentlarvend fiir die deutsche Literatur vor: Wenn schon nicht Lagerhaft Lind Folter, dann wenigstens Gehirnblutung. Das land ich schr, sehr lustig. WOLFGANG LUEF und LORENZ WAGNER wurden Zeugen davon, dass Wolf Haasdoch ziemlich mutig sein kann: Er erzahlte ihnen, er habe sich sein Leben lang vor Geisterbahnengefurchtetund stieg fur unser Fotoshooting im Wiener Prater zumersten Mal em. Und dann gleich noch mal.