Salzburger Nachrichten / Wochenende 05.07.2014 06.07.2014 für Prater Wien Gmb H und Wiener Praterverband zum eigenen Gebrauch nach §42a Urh G. Die Rackkehrder Lederhose Biedermeier und die harmlose Generation. Zwischen Nationalismus und Patriotismus. Auf den Spuren derneuen Heimatliebe. JOSEf SC H OR NIs Andreas Gabalier, der Volks Rock'n' Roller, dervonderewigen Liebe schwarmt undder Schonheit unserer Mad In, hat eine Mi
[MEHR]llion Tontrager verkauft undschwimmt immer nochganzoben auf der Heimatwelle. Fast emnhalbes jahrhundertnach dem Anti Schnulzen Erlass, mit dem Gerd Bacher germanische Schwachsinnige'( Bacher) aus 03 verbannte, macht die Musikindustrie im deutschsprachigen Raum Millionenumsatze mit deutschen Schnulzenwie Geboren urn dich zu lieben' und ,, Ichlieb dich immer noch'. Helene Fischer schlagt Lady Gaga. Sogar der gute alte Heimatroman feiertfrohliche Urstand, verkleidet als Provinzlcrimi,tendenzieil auch im Femsehen em n Hit. Trachtenmode, Volksmusik und Schlagersind wieder in, emn Trend, der seit jahrenstabil ist. Was frilher als dickstandig undaltmodisch gait, 1st hoch im Kurs. Und alle Umfragen inunsererkleinen Welt weisenseit Jahren in eine Richtung: Die Osterreicher sindgem Osterreicher, und eigentlichsind sie davon iiberzeugt, dass die gro Se Welt mit mehr Osterreich eine bessere ware. Was passiert mit uns? Versteckt sich hinter dem Comeback der Lederhose eine Botschaft, die auch die vielen Stimmen junger Wailer fiir Strache erklart? Zeit fur die Bestandsaufnahme einer nicht erlahmenden Kulturrevolution dahoam, im Sommer2014. In wenigen Monaten werden zum vierten Mal Wiener Teenager in green Dirridlnund Velourslederhosen auf das Festgelandeauf der Kaiserwiese im Prater stromen, dasangeblich gro Ste Volksfest Osterreichs hatschon im vergangenen Oktober 200.000 Leute angezogen. Das Geschaft mit Trachtenmode lauft blendend, das Bekleidungshaus C "quot; A bietet auf seiner Website mindestens40verschiedene Dirndlmodellean,sogarim Ausland wird's bemerkt. The Lederhosen boom' titelte The Economist'. Erzitierte Hans Kohlvom Salzburger Heimatwerk, der einen Zusammenhang Mit der Finanzkrise herstellte und der Sehnsuchtnach Tradition, nach Stabilitat. Undstaunte: Tracht has never been so common andcosmopolitanevencool.' Gemeint ist Trachtenmode, die alpine Antwort auf den amerikanischen Cowboyhut. Von Ober und Niederosterreich und der Steiermark reicht das Lederhosenland bisnach Stidtirol, im Westen bis nach St. Moritz, im Norden gehoren dazu Ober und Niederbayem. Begrenzt auf diese Regionwar the Lederhosen boom' schon in denvergangenen jahren nicht, das italienische Label Pucci verbreitet Loden, janker, Lederhose, davor schon versuchten es Prada, Louis Vuitton und andere mit Anleihenanalpenlandische Modevorstellungen. Ohne Lederhose im Bierzelt, das giltmanchem heute schon als fragwiirdig, dieser Trend konnte nachhaltig wirken. Zumindest wenn man dem bayrischen Bekleidungshersteller Markus Meinl folgt, dersagt, heute habe jeder die Zeit mitgemacht,in der Tradition nichts.galt. Darum sei die Riickkehr der Lederhose kein kurzlebiger Trend. Sondern em n nachhaltiges Bekenntnis zur eigenen Kultur.' Basta. Man mag so seine Zweifel daran haben,dass sich kulturelle Identitat einzig aus dem Buick auf die modische Kopie einer Trachtgenerieren lasst. Man konnte diese Zweifelsogar mit gutem Gewissen haben und aufemn paar Zeilen verweisen, die einem klugen Kopf im Biedermeier eingefallen sind. Salzburger Nachrichten / Wochenende 05.07.2014 06.07.2014 für Prater Wien Gmb H und Wiener Praterverband zum eigenen Gebrauch nach §42a Urh G. Wer sich unsere Modejoumale ansieht,der kann sich der Besorgnig kaum erwehren, dag...diese lacherliche Ruckkehr der Trachten zu dem Kost Ume der Siebenzigerund Achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts der Vorlaufer noch ganz anderer Ruckschritte zu sein scheint.' Vor 170 Jahrenstand das im Sammler', em, nach Eigendefinition, Blattzur Unterhaltung und Belehrung' und im tibrigen eine Beilage zur Augsburger Abendzeitung'. Die Wiedererweckung der alten Roben'wardas Thema, und die Frage warund ist: Ob die Mode wornoglich einhergehen konnte mit einer Ruckkehr der abgestandenenpolitischen und staatlichen Formen des vergangenen Jahrhunderts', also, umgelegt aufunsere Gegenwart: ob sich im Dirndl und Lederhosenboom die Wiederentdeckung einereher unguten Artvon Heimatliebe und Nationalstolz manifestiert, die mit Nationalismus, Fremdenhass, Schwulenphobie einhergeht, mit dem Erstarken antidemokratischer, populistischer, rechter und reaktionarer Tendenzen in Europa.1st die Heimat emn Song wie Fendrichs Iamfrom Austria'? Mit dem Biedermeier verbinden die meisten Mobel. Doch dieser Zeitabschnitt ist ausganzanderen Griinden interessant. Am Anfang stand der Wiener Kongress,am Endeder Versuch einer Revolution. Es gab nicht:mehr Freiheiten, mehr biirgerliche Rechte,mehr Teilhabean Politik. Es gab: Presse,abervorallem Zensur undementtauschtes Burgertum, das sich ins Privatleben undeine stille Heimeligkeit zurtickzog, es gab Metternichs Spitzelstaat und Metternichs Restauration. Bis die revolutionare Grundstimmung 1848 explodierte. Man konnteesmit einem heutigem Begriffsagen:bis der Wutbiirger ausbrach. Seitgeraumer Zeit werden im deutschen Sprachraum Fragen erortert wie diese:1st am 11. September 2001 mit den Twin Towers in New York auch die weltweite Spa Rgesellschaft in sich zusammengebrochen, diese hohle Generation Golf, die sichunaufhaltsam auszubreiten schien? Sindwirnunauf dem Marsch geradewegs in emnneuesaltes Zeitalter, zurtick in die Zukunft?1st die neue Bilrgerlichkeit die Rtickkehreines Lebensgefilhls, das man auch Biedermeiernennenkonnteerkennbar schonseit dem Auftauchen einer Erscheinungnamens Cocooning',erkennbaram Riickzugins Private, am Erstarken des Nationalen,anden medialen Debatten tiber eine Ruckbesinnung auf Werte wie Disziplin und Ordnung(etwa in der Schule), zivilgesellschaftliches Engagement, die Notwendigkeit guter Umgangsformen? Und weil wir jetzt gerade dabei sind: Kehrt eigentlich das Nationale mit der Lederhose zurtick? Oder 1st es umgekehrtschlummert in derneuen Heimatseligkeitder Wunsch nach gemeinsamer Identitat,die sich auchammodischen Hangzu Vergangenem,in der Trachtenmode, in der Musikbranche, festmachen lasst?1st Lederhose einfach nur cool, em n Dirndlschlichtsexy,dann ist Heimat natilrlichnurem n Song wie Fendrichs I am from Austria'. Dann konnte auf eine Jugend, die sich nichtnur vom Nationalsozialismus ihrer Eltem,sondem zugleich von Nationalstolz und Heimatliebe verabschiedet hat, tatsachlicheine harmlose Generation gefolgt sein, diealles wieder ins Lot bringt und gelassen inihren zwei Welten lebt, wie das der Trendforscher Harry Gatterer forrnuliert hat: Injener der Facebook Freunde und in jenerder Spezlaus Fleisch und Blut, mit denenmansichzum Bierzeltbesuch verabredet. Und weil's niemand mehr als anstogig empfindet, auch gleich die Ledeme auspackt. World Wide Web und regionales Brauchtum, Aufgeklartheit tuld fast schon innige Heimatliebe, landliche Tracht und stadtischer Chic, Dirndl und Escada, das passt alles in ems? Offenbar, die erfolgreichstedeutsche Schlagersangerin 1st ja auchgebiirtige Russin, Osterreichsneuemusikalische Heldin heigt Conchita Wurst und istemnbartiger Mann. Der renommierte Tobias Reiser Preis, normalerweise ftir Leistungen auf dem Gebiet der Brauchtumspflege vergeben, ging zuletzt an eine Modedesignerin (!) in Wien, Susanne Bisovsky, sieentwirft urbane Trachten' ftir eine internationale Kundschaft. Tradition wird frei, sehr frei interpretiert,die Identifikation mit einer Gesellschaftmacht nicht unbedingtan Stammesgrenzenhalt. Die Seer, das Nockalm Quintett, Die Jungen Zillertaler, Saso Avsenik und seine Oberkrainer, aber eben auch Avril Lavigne, Amy Winehouse, Madonna, Lenny Kravitz. Und, weil's Spa R macht auf der Party, Abba. Das alles ist ziemlich verwirrend undschon em n bissel verstorend ftir altere Semester, denen zum Thema Nationalstolznoch sehr deutlich der Nazihauptschul direktor in Erinnerung ist, der gern Lederhose trug,wenn er Schüler ohrfeigte, der Judenwitzam Stammtisch und der Professor,der noch 1971 militärischen Haarschnittmit einem Einser in Mathematik belohnte. Auf denersten Blick scheint Entwarnunggeboten. Falls wir in einem neuen Biedermeier leben, handeltessichumeinunverdächtiges, eines, das keine Schwulenausgrenzt, also kein sexuelles Biedermeier wiein den Fünfzigerjahren, auch kein ethnisches, das Ausländerhass propagiert. Erstaunlicherweise haben die Österreicher erst während des Kriegsso etwaswieein österreichisches Nationalgefühl entwickelt, vorher wollten sie ja Deutsche sein. Weshalb sie sich, wie die Deutschen, verständlicherweise schwergetan haben,zueinemgelassenen Patriotismuszufinden, einem,wie ihn der deutsche Bundespräsident Richardvon Weizsäcker beschrieben hat: Patriotismus ist die Liebezuden Seinen. Nationalismus ist Hass auf die anderen.'