16.09.2015 für Prater Wien Gmb H und Wiener Praterverband zum eigenen Gebrauch nach §42a Urh G. Der Prater wurde 1766 von Joseph II für die Allgemeinheit geöffnet. Die ehemaligen kaiserlichen Jagdgründe teilten sich schon bald in zwei recht verschiedene Bereiche: den flächenmäßig größeren Grünen Prater, der bis heute primär zur Naherholung und für Sport genutzt wird, und den Wurstelprater, seines Zeichens VergnÃ
[MEHR]¼gungspark und Rummelplatz. Dessen Vorläufer waren Wirtshäuser mit Unterhaltungselementen, in denen z. B. der Hanswurst auftrat, deshalb auch der Name. Der Wurstelprater ist ein Ort, an dem es zu einer seltsamen Verknüpfung von Unterhaltungsindustrie mit all ihren Abgründen und populärwissenschaftlicher Volksbildung, von traditionellem Vergnügen und moderner Technik kam. Während der technische und vergnügliche Aspekt mit den immer höher und immer schneller werdenden Attraktionen heute weithin sichtund hörbar ist, zeugt vom volksbildnerischen nur mehr das Planetarium als Hybrid von Unterhaltung, Fiktion und Wissenschaft. DAS ANDRE ALS SPEKTAKEL Wissensvermittlung und Vergnügen haben im historischen Prater jedenfalls eines gemeinsam: sie waren zutiefst von Rassismus und Voyeurismus geprägt. Das beste Beispiel dafür sind die populären ' Menschenschauen'. Menschen, die nicht der erklärten Norm entsprechen, anzugaffen war schon lange vor dem Wurstelprater Teil der Unterhaltungsindustrie in Zirkussen oder den ' Abnormalitätenparaden', die es im Wiener Prater bis nach dem zweiten Weltkrieg gab. Im Pratermuseum ( Standort des Wien Museums neben dem Planetarium) kann man sehen, was es da zu sehen gab: der Allgemeinheit zu große oder zu kleine, zu behaarte oder zu wenig behaarte, zu hellhäutige oder zu dunkle, zu dicke oder zu dünne, mit zu vielen oder zu wenigen Gliedmaßen ausgestattete Menschen. In Shows werden diese ' Abweichungen' zum Spektakel inszeniert und die dort zur Schau Gestellten bewundert, verachtet, ausgelacht, mit Staunen oder Ekel betrachtet. ( Wer denkt hier nicht an The Elephant Man von David Lynch?) Viel Unterschied zwischen Mensch und Tier wird nicht gemacht. Waren etwa mit dem Plakat ' Exotische Tierschau größte Seltenheiten lebend!' wirklich Affen gemeint? Mit der Blüte des Kolonialismus Mitte des 19. Jahrhunderts wird dieser Voyeurismus durch sogenannte ' Völkerschauen' ergänzt. Menschen aus Teilen der Welt, die den Wienerinnen fremd erschienen, vor allem aus Afrika und dem nördlichen Europa, werden in ihrem vermeintlichen Alltag (beim Kochen, Putzen, Singen etc.) dargestellt, tanzen Folkloristisches und der oder die Wienerin kann sich dabei ein angeblich authentisches Bild vom 'weniger zivilisierten' Rest der Welt machen. Ãœiese Shows stehen einerseits in der gleichen Tradition wie die ' Abnormalitätenparaden', sich durch das Schauen und die Konstruktion anderer Menschen als 'anders' und 'minderwertig' der eigenen Ãœberlegenheit und ' Normalität' zu versichern sowie sich dabei und auf Kosten anderer köstlich zu unterhalten , andererseits wird versucht, dem Ganzen einen wissenschaftlichen, ethnographischen Background und damit Legitimität zu verleihen (vgl. dazu Schwarz, Schneider). Das war auch durchaus ein ernstgemeintes, volksbildnerisches Ansinnen (www._prater.at), allerdings den Rassismen des Zeitgeistes und den Kompromissen mit der Unterhaltungsindustrie unterworfen bzw. diese befördernd. ' Im Prater sollte man an plastischen Anschauungsobjekten lernen, immer vermischt mit Vergnügungskultur' ( Schneider: S. 3). Prototypisch dafür ist Hermann Präuschers Panoptikum, dessen Menschenmuseum nebenbei bemerkt nicht mehr oder weniger wissenschaftlich war als der ' Rassensaal' im anerkannten Naturhistorischen Museum, welcher bis 1996 (!) existierte und erst durch massive Proteste entfernt wurde. Oder auch die ' Völkerschauen' des Hamburgers Carl Hagenbeck, die im Prater gastierten und wohl auch aus kommerziellen Interessen zur Erschließung neuer und zahlungskräftiger Kund_innen eine Befreiung der ' Völkerschauen' vom Schmuddel Image als Spektakel und Belustigung für den 'einfachen Mann' zum Ziel hatten. TECHNISCHES EXPERIMENTIERFELD Ein kleiner Teil des Pratermuseums wirkt völlig anders als der Rest: keine wild nebeneinander gestellten Bilder und Relikte von angeblich ' Wilden', die wenig bis problematisch beschriftet sind und eher an ein wenig betreutes Bezirksmuseum denn an eine Außenstelle des Wien Museums erinnern (1), sondern: lesbare und museumsdidaktisch professionelle Schautafeln mit Text samt Zitaten, Kontextualisierung und Struktur. Das sind Relikte aus der Ausstellung ' Prater Kino Welt Filmvergnügen im alten Prater', die das Wien Museum gemeinsam mit dem Filmarchiv Austria 2005 zeigte. Das frühe Kino findet im Prater seinen ersten großen Niederschlag und die Popularisierung des Kinos beginnt in den Schaubuden, die um die Jahrhundertwende zu Kinos umgestaltet werden. Allein 1904 werden hier fünf neue Kinos eröffnet. Diese Geschichte verweist auf einen weiteren, relevanten Moment des Wurstelpraters: die Technik. Nicht nur was Kino, sondern auch was die Hochschauund Geisterbahnen betrifft wird experimentiert und neue Erfindungen werden einer Allgemeinheit zugänglich gemacht. Der Prater um 1900 wird dann auch, treffend, im Pratermuseum als 'Ãœbergangsräum' beschrieben als verwunschener Ort zwischen traditionellem, vulgärem Vergnügen und Zur Schau Stellen und fortschrittlichen, modernen technischen Attraktionen. Auf den Schautafeln heißt es: ' Das Schauen (...) spielte im Wurstelprater von jeher eine große Rolle, hier konnte man 'die Welt' betrachten.' Ãœber die dahinterstehenden Interessen völkischer Chauvinismus, unternehmerisch ausgeschlachteter Voyeurismus und diskriminierenden Stereotype rassistische Bilder vom unterlegenen, nichteuropäischen ' Anderen', sexistische Annahmen hypersexualisierter 'exotischer' Frauen etc. ist damit freilich noch nichts gesagt. Auf einer anderen Ebene finden sich die kruden rassistischen ' Rassentheorien' als Antisemitismus und mit den Enteignungen und Vertreibungen jüdischer Schausteller_innen und Besitzerinnen nach 1938 fortgesetzt. Immerhin, die Geschichte der ' Arisierung' des Riesenrades ist mittlerweile gemeinhin bekannt. Und auch den traditionellen Hakoah Sportplatz im Prater gibt es seit 2008 wieder. Der erfolgreichste Sportklub der Zwischenkriegszeit bekam erst 2002 seinen alten Platz restituiert und der FC Finanzministerium musste weichen. SEXUALITÄ T UND REPRESSION Die Abgelegenheit hat Teile des Praters auch attraktiv gemacht für, im Wortlaut kaiserlicher Verordnungen: 'zu besorgenden Unfug und Mißbrauch'. Männer suchten und fanden im Prater Sex mit andren Männern oder Prostituierten und wurden nicht selten Opfer von Erpresserbanden. Hannes Sulzenbacher von QWIEN, dem Zentrum für schwul/lesbische Kultur und Geschichte, nennt das die 'erotische bzw. kriminelle Halbwelt des Praters'. So kam es am Tag der Prater Eröffnung 1766 angeblich zu rund 100 Verhaftungen wegen sexueller ' Unzucht' im Allgemeinen. Von der Quellenlage her nachweisbar sind Verurteilungen wegen spezifisch 'homosexueller Unzucht' erst ab Mitte der 1930er. Seit damals liegen, so Sulzenbacher, Straftakte des Wiener Landesgerichtes vor. Seit 1971 ist Homosexualität nun endlich nicht mehr strafbar, der Prater als Cruising Zone ist aber erhalten geblieben. Wenig übrig geblieben ist vom Prater als Ort in erster Linie weiblicher Sexarbeit: Hier war und ist der Prater umkämpftes Terrain. 1776 zählt man im Prater 2000 Sexarbeiterinnen, mit der Novellierung des Wiener Prostitutionsgesetzes 2011 war der Prater noch vom Verbot des Straßenstrichs ausgenommen, nach Stadtteilaufwertung und neuer Wirtschaftsuniversität sieht die Sache aber anders aus: 2013 wird Sexarbeit aus dem Prater verbannt und damit fällt ein weiterer Raum, an dem sich bezahlter Sex in relativ zentralen und vor allem sicheren Wegen anbahnen kann, weg (nachzulesen in MALMOE 59 "quot; 64). Nikola Staritz (1) Okay, die willkürliche Zusammensetzung der Exponate erklärt sich immerhin daraus, dass es sich um die Schenkung eines Privatsammlers handelt, die man eben ausstellen wollte. Was ja grundsätzlich sehr zu begrüßen ist. Literatur: Karin Schneider: ' Das Museum und der Prater', Broschüre zum Projekt Strange Views, Wien 1999 Werner Michael Schwarz: ' Anthropologische Spektakel. Zur Schaustellung .exotischer' Menschen, Wien 18701910', Verlag Turia+ Kant, Wien 2001 Zum Anschauen: Pratermuseum (beim Planetarium): 1020 Wien, Oswald Thomas Platz 1 Herrrreinspaziert und über Andere amüsiert Trotz vieler Alternativen im Unterhaltungssektor bleibt der Wiener Wurstelprater ein populärer Ort egal ob Touristjnnen oder Wienerinnen, nicht nur am Ersten Mai zieht es die Massen dahin. Doch was steckt hinter dem nostalgischen Zuckerguss des sissiesken Eingangsportals und dem überlebensgroßen Zampano Basilio Calafati außer die Sehnsucht nach einer Zeit, die es wohl nie gab und der Hunger nach Nervenkitzel? MALMOE erzählt auf den folgenden beiden Seiten die etwas andere Pratergeschichte zwischen rassistischen Völkerschauen, Volksbildung und dem Versuch, den Blick umzudrehen und ein anderes Prater. Welt. Museum zu schaffen. Vom Prater als Ort der Subversion und proletarischer Gegenkultur erzählt der Text ' Vor der Pratersauna' auf S. 12 in dieser Ausgabe. Der Wurstelprater, ein komischer Ort zwischen Rassismus, Kommerz und Vergnügen. Mit dem Autodrom durch seine Geschichte(n). KOMMEN SIE! SCHAUEN SIE!