Wiener Zeitung 11.09.2010 KÜ NSTLICHERMENSCH? EI E ABSRDE VCRSTELLOskar C. Aszmann isteinerderwenigen Chirurgen weltweit,die Nervenvon einem Ort des Körpers an einen anderenverlegen und mit einem Muskelverbinden können. So wurdeesmöglich, dass ein junger Mannzwei Armprothesen bekam, die erfast wie normale Arme bewegenund mit deren Händener wiederfühlen kann. Aber: Wir haben diemenschliche Biologie bis heutenoch nicht annäh
[MEHR]ernd verstanden', sagt Aszmann im Interview. Interview: Cathren Müller Herr Aszmann, Sie haben Biologieund Philosophie studiert, sich dannaber ganz und sehr erfolgreich der Chirurgie verschrieben. Was machtdie Chirurgie so faszinierend für Sie? Oskar C. Aszmann: Beim Biologiestudium fehlte mir die Relevanz fürs tägliche Leben Die habe ich erst in der Medizingefunden. Die Anatomie faszinierte mich,ein Praktikum bei dem Nervenchirurgen Hanno Millesi hat mich dannzur Nervenchirurgie gebracht Ich war beeindruckt,dass man einen Menschen mit einemgelähmten Armso behandeln kann,dassder Arm wieder beweglich ist. Ich wusste, das ist eine Lebensaufgabe für mich In Ihrer Arbeit gehen Sie über dierekonstruktive Chirurgie hinaus. Sieverbinden Nerven und Muskeln mittechnischen Prothesen. Diealso die Kombination von Biologie und Technik, hatte mich schon lange beschäftigt, denn die Biologie stoßtmanchmal an ihre Grenzen. Heute sind Arm und Handtransplantationen maglich, allerdings sind diese Arme und Hände dann oft funktionell reduziert undmit lebenslänglicher Immunsuppressionverbunden. Vor zehn Jahren begannenwir zu untersuchen, ob die Nerven anden oberen Extremitäten für den Anschluss an einen Muskel oder an eine Prothese brauchbar sind und Signaleaussenden, die dann einen Muskel odereine Prothese bewegen können. Wir sindspater durch Zufall auf das Unternehmen Otto Bock gestoßen, das Prothesenentwickelt, und zugleich lernten wir einen Patienten kennen, der durch einen Unfall beide Arme verloren hatte Wir Konnten damit erstmals das Problemauch von der technischen Seite her angehen 2006, nachdem Otto Bock eineneigenen Arm entwickelt hatte, konntenwir die erste nervengesteuerte Arm Prot.:heseanrassen Wie funktioniert diese Prothese?. Vvenn ein Patient den ganzen Arm verioren hat, sind die Muskeln am Rumpf, dieeinmal mit dem Arm verbunden waren,noch da, aber sie sind funktionslos. Wirverlagerten die Nerven, die ursprünglich in den Armgingen, auf die verbliebene Muskulatur am Rumpf So geschahfolgendes: Die Nerven, die einmal in die Hand gingen, um zum Beispiel den Ellbogen zu bewegen, haben die rumpfnahen Muskeln reinnerviert, so dass diesernun den künstlichen Ellbogen steuert Das funktioniert intuitiv, es erfordertaber Training. Wenn der Patient darandenkt, den Ellbogen zu beugen, wird ein Areal an der Rumpfmuskulatur kontrahieren. Wenn er daran denkt, die Handzu öffnen, wird ein anderer Teil in der Rumpfmuskulatur reagieren. Es entwickelt sich eine neue neurologische Landschaft. Die entstehenden elektrischen Impulse kann der Techniker verstärken. Eine Software wandelt den Strom in ein Impulssignalum und steuert die Prothese Das, was der Patient denkt, wird vonder Prothese durchaeführt Aber man denkt nicht,man bewegtden Arm... Das stimmt. Bewegung ist im 1..,.enmark hochkomplex kodiert, aber aufdiese hochkomplexe Weise kann mankeine Prothese steuern Eine Protheseder modernen Art hat sechs bis sieben Motoren, die ebenso viele unterschiedliche Bewegungen ermöglichen. Normalerweise schlüsseln wir unsere Bewegungen nichtin Einzelbewegungen auf' Wir streckenunseren Arm und drehenzugleich unsere Hand Der Bewegungsablauf bei der Prothese aber ist linear:zuerst die Streckung des Arms, dann die Drehung der Hand. Wir arbeiten aberaneiner Pattern Recognition, die Mustererkennt und damit eine simultane Steuerung erlaubt. Bei der Pattern Recognition Werden Elektroden auf der Hautdes Patienten befestigt. Er wird aufgefordert, eine bestimmte Bewegungzudenken, was Muskelkontraktionen, Impulse, hervorruft. Es entsteht ein Impulsmuster, das als die Bewegung interpretiert werden kann, an die der Patientgerade denkt Dies nennt man Targeted Muscle Reinnervation ( TMR). Unser erster Patient trägt eine Hybrid Prothese,die TMR und konventionelle Myosignaleanwendet Wie kommt es zu der Ubereinstimmung zwischen dem Denken des Menschen und dem Tun der Prothese? Es ist Training Werden die Nerven, dieden Arm steuerten, in den Rumpf verlegt, sind im Rumpf Kontraktionen spürbar, wenn der Patient versucht, einebestimmte Armbewegung auszuführen Er muss diese Kontraktionen dengedachten Bewegungen zuordnen. Mankannvor dem Transfer der Nerven nichtwissen, welcher Teil des Nervengeflechts Wiener Zeitung 11.09.2010 ..1ch an welcher Stelle an dem neuen Ortrealisiert Man weiß nicht, welche Arealefür welche Bewegungen zuständig seinwerden Der Nervus radialis zum Beispielhat drei Hauptfunktionen: Hand offnen, Hand nach oben drehen, den Arm ausstrecken. Versetzt man den Nerv, weißman nicht ganz genau, welchedieser Funktionen sich an welcher Stelle realisiert. Das sieht man erst dann, wennder Patient versucht, bestimmte Bewegungenauszuführen, siezudenken Dann werden die Areale sichtbar, diebesonders gut ansprechen. Diese Zuordnung wird noch ganz ohne Prothese geübt, zunachst mit einem virtuellen Armauf dem Bildschirm eines Computers. Erst etwa ein Jahr nach Operation kannder Patient zum ersten Mal seine Prothese tragen. Funktioniert das auch bei Extremitaten, die nie da waren? Lange Zeit dachte man, dass dies nichtfunktioniert, aber es geht. Auch wennvon Geburt an Extremitäten fehlen,so sind doch die Hirnareale,die für ihre Steuerung zuständig wären, vorhanden. Neuronale Netzwerke können sichneu ausbilden, solange esdie entsprechenden Hirnareale gibt Wie ist es moglich, mit einer Prothese zufuhlen? Wir können bei den Operationen auch Hautnerven, sensible Nerven, transplantieren, sodass ein Patient beispielsweise an seiner Schulter seine Hand oderbestimmte Finger spürt. Im Falle desersten Patienten haben wir eine Druckempfindung ermöglichen können Wenner mitseinem prothetischen Zeigefingerseinen prothetischen Daumen drückt,drückt ihn mit derselben Kraft ein Druckstempel an den Stellen an seiner Schulter, an denen er seinen Daumenspürt Das Gefühl für die Schulter ist dannaber weg? Bei dem leil der Schulter, der mit der Nerven der Hand belegt ist, ja. Allerdingsnur vorübergehendbis diese Teile als Hand benutzt werden Vor zehn Jahrenhatte ich einen Patienten mit einer Gesichtslähmung aufgrund eines Schlaganfalls Er spürte seine Lippe gar nichtmehr und verletzte sich deshalb häufig. Nun wurde ein Nerv von der Schulter indie Lippe umgesetzt. Jedes mal, wenn ersich in die Lippe biss, tat es ihm in der Schulter weh Mit der Zeit aber verschwand die Empfindung in der Schulterund der Patient spürte die Empfindungin der Lippe. Das Gehirn hatte gelernt,umzudenken Werden die Empfindungender Hände in die Schulter verlagert, wirddie Schulter zur Hand. Das Gefühl, dassdie Schulter reagiert, verschwindet Dasist ein kognitiver Prozess. Können alle Sinnesqualitäten aufdiese Weise hergestellt werden? Wir können bislang lemperatur, Verations und Druckempfindungen indie Prothese integrieren,sodass Heißesoder Kaltes, glatte oder raue Oberflachen differenzierbar sind. Hierist die Technik der Biologie allerdingsunterlegen. Einemenschliche Hand ist so sen Prof Dr Oskar C Aszmann ist Chirurg in der Abteilung für Plastische und Wiederherstellende Chirurgie an der Universitätsklinik für Chirurgie der Medizinischen Universitat Wien.stet, dass wir das Gewicht einer Fliegespüren und zugleich viele Kilo abschätzen können. Technische Mechanorezeptoren konnen das nicht Sie können einzelne Drucksignale abgreifen und diesein Druckimpulse umsetzen. Umdie ganze Spannweite zu repräsentieren, bräuchteman eine Vielzahl verschiedener Mechanorezeptoren. Der künstliche Mensch ist also dochferner, als wir denken? Die Biologie des Menschen ist so undurchschaubar komplex, wir kratzen im Grunde nur an der Oberfläche. Zu denken, der künstliche Mensch sei nah, istabsurd. Wir versuchen auf vergleichsweise einfache Weise, Defekte zu beheben, zu rekonstruieren Da ist die Technik der Biologie manchmal überlegen. Sieermöglicht es, dass Menschen, die einen Arm oder Bein verloren haben oder niehatten, ein selbstständiges Leben führen können Das macht meine Arbeit zueiner so schönen Aufgabe Ich machedas jetzt schon so lange, kommeaberimmer mehr darauf, dass es genau dasist, was ich immer machen wollte Prof. Dr. Oskar C. Aszmannwird am18.9.2010 ab18 Uhr im Wiener Riesenradgemeinsammit Dr. Hubert Egger ( Otto Bock Healthcare Products Gmb H) Vorträge zuden Themen:' Bionikfürdiemoderne Medizinund' Bionikam Ubergang von Mensch zu Mashinehalten.